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Nachruf Anna Zinsli

von Stolz Karoline

Nachruf

geschrieben von Annali Zinsli-Marxer, 26.06.1923 – 4.07.2017

 

Herr, du hesch g'ruafa, as isch Ziit

Annali, bisch parat? der Wäg isch wiit!

Herr, wenn du rüafsch, denn will i gan

und mina Platz uf Ärda verlan.

 

Ich, Anna Zinsli, geborene Marxer, bin am 26. Juni 1923 in Thusis geboren. Meine Eltern waren Eduard Marxer und Anna, geborene Beglinger. Mein Vater war aus Eschen im Fürstentum Liechtenstein. Meine Mama war gebürtig aus Salez – Sennwald, Kanton St. Gallen. Ich wurde also als Liechtensteinerin geboren, was ich auch bis zu meiner Heirat blieb.

Mein Geburtshaus stand in Übernolla, wo sich meine Gross­eltern Eduard Marxer-Albertin und seine Frau Barbara ein Haus gekauft hatten. Das muss so ca. im Jahr 1887 gewesen sein.

Ich war die zweitälteste von vier Kindern. Mein Bruder Eduard kam im Jahr 1921 zur Welt und mein Bruder Robert im Jahr 1926. Meine kleine Schwester Hulda habe ich leider nicht gekannt. Sie ist im Jahr 1924 geboren. Leider hat sie der liebe Gott schon im zarten Alter von sechs Monaten wieder zu sich geholt und Hulda wurde ein kleiner Engel.

Zusammen mit meinen Brüdern Eduard und Robert durfte ich eine wunderschöne Jugendzeit erleben. Wir wurden von den Eltern mit sehr viel Liebe erzogen.

Schon während der Schulzeit war es selbstverständlich, dass man überall bei der Arbeit mitgeholfen hat; sei es im Stall, im Garten, im Bongert oder beim Holzen. Wir hatten Schweine, Hühner, Ziegen und Küngeli, da gab es immer etwas zu tun. Im Sommer war schulfrei – da ging man zu einem Bauern, um dort mitzuhelfen. Manche trafen es gut, ich hatte aber jeden Sommer Pech! Die Arbeit war hart und das Brot meistens auch, doch es hat mir ja nicht geschadet, bin ja trotz­dem alt geworden.

Alle meine Schuljahre habe ich in Thusis verbracht. Meine Lieblingslehrer waren: Lehrer Peter Feltscher und Lehrer Cloetta. Sie beide haben mir viel auf meinen Lebensweg mitgegeben.

Nach der Schulzeit musste ich eine Lehrstelle suchen. Mein Traumberuf wäre Krankenschwester gewesen, doch damals konnte man diesen Beruf nur in Chur erlernen, was mit Unkosten verbunden gewesen wäre.

Ich fand dann bei Frau Schmellentin in Thusis eine Lehrstelle als Damen­schneiderin, und so konnte ich zu Hause essen und auch daheim wohnen. Schneiderin war eigentlich nicht das, was ich wirklich werden wollte, doch nach einem sehr guten Lehrabschluss bekam ich immer mehr Freude daran.

Da ich meine Kenntnisse nach meinem Lehrabschluss noch erweitern wollte, fand ich in Bern unter den Lauben meinen neuen Wirkungskreis. Dort lernte ich Damenkostüme zu nähen, so genannte Deux-Pièces. Mein Lehrmeister war sehr streng, jedoch auch verständnisvoll, hat er uns doch immer gesagt, wenn wir mal etwas nicht ganz genau genäht haben: „Mit dem Bügeleisen kann der Meister seine Kunst beweisen!“

Es war für uns Jungen nicht immer leicht in dieser Zeit, war doch rund um die Schweiz Krieg, und die Lebensmittel wurden rationiert; doch Hunger habe ich nie gekannt. Mein Lohn in Bern war Fr. 1.05 pro Stunde, damit konnte ich kein grosses Menu bestellen.

Hie und da ass ich auf der Bundeshaus-Terrasse auch nur ein Brötli und ein Schoggi-Stengeli dazu. Das war mein Zmittag. Eine Mitarbeiterin hat mir dann geraten, ich soll doch zur Heilsarmee essen gehen. Das habe ich dann auch
ge­macht und habe es nicht bereut.

Ich habe dann auch ein Zimmer bekommen, in einer Mansarde – unter dem Dach. Kalt wie ein Eiskeller, aber billig. Mit Handschuhen und dicker Wolldecke habe ich in meiner Mansarde Pullover für meine Brüder zu Weihnachten gestrickt.

Es war trotzdem eine sehr lehrreiche Zeit in Bern und ich konnte mir einiges an Fachwissen aneignen. Ich kam dann wieder zurück nach Thusis zu meiner Lehr­meisterin Frau Schmellentin und wurde dort als Arbeiterin angestellt.

Dann kamen die tragischen Unglücksfälle meiner Brüder Eduard und Robert. Die Älteren unter Ihnen können sich vielleicht noch daran erinnern, war doch das ganze Dorf von diesen traurigen Ereignissen sehr betroffen. Ihre Ländlermusik, die beide meiner Brüder, Eduard und Robert, perfekt beherrschten, war ver­stummt und der Schock sass tief bei allen, die sie gekannt haben.

Dazu eine kurze Rückblende:

Am 1. August 1941 ertrank mein Bruder Eduard im 20. Lebensjahr auf unerklär­liche Weise beim Fischen am Rhein. Er hatte soeben seine Lehre als Zimmermann und Schreiner bei der Firma Gees in der Albula in Sils erfolgreich beendet.

Doch Gott nahm mir auch noch meinen Bruder Robert.

Am 27. Juni 1946 kam Röbi, ebenfalls 20-jährig, mit dem Motorrad in der Viamala ums Leben. Er wollte bei der Firma Glade in Thusis eine Lehre als Mechaniker beginnen, doch dazu ist es leider nicht mehr gekommen. Das Schicksal wollte es anders. Das waren die dunkelsten Jahre für meine Eltern und für mich. Der liebe Gott gebe ihnen die ewige Ruhe.

Während dem Krieg habe ich dann meinen späteren Ehemann, Willi Zinsli, der damals im Aktivdienst bei der Gebirgsartillerie war, kennen und lieben gelernt. Am 26. Oktober 1946 haben wir dann in der Heimat­­gemeinde von Willi, in Zizers, den Bund fürs Leben geschlossen. Da um diese Zeit die Trauer um meine zwei Brüder noch sehr gross war, hat sich die Zahl der Gäste sehr in Grenzen ge­halten.  Es war eine stille, einfache Feier mit 13 Gästen. Trotz der Zahl 13 wurde unsere Ehe sehr glücklich.

Der liebe Gott wollte in unserer Familie in Übernolla wohl etwas gut machen und schenkte uns zwei gesunde, liebe Kinder, Anita und Doris, welche viel dazu bei­getragen haben, jene schwere Zeit der Trauer zu überwinden. Mit diesen beiden Mädchen kehrte auch allmählich die Fröhlichkeit und die Freude in unser Haus in Übernolla zurück. Auch meine Eltern konnten endlich wieder Freude am Leben haben und wieder lachen.

Im Jahr 1969 starb mein lieber Papa, Eduard Marxer, mit 76 Jahren an Herz­versagen. Es war gerade Muttertag. Zwei Wochen zuvor, am 29. April, ist sein Urenkel Markus zur Welt gekommen. Mein Papa durfte noch zwei Wochen lang Urneni sein.  

Als dann im Jahr 1990 Doris nach 20 Jahren in Genf wieder nach Thusis kam, war meine Freude gross, brachte sie doch ihre kleine Tochter Marigna mit. Auch meine Mama freute sich sehr über die kleine Urenkelin.

Auch Markus, der Sohn von Anita, hat mir und meiner Mutter immer sehr viel Freude bereitet, wenn er jeweils in den Schulferien zu uns kam.

Da meine Mama für ihr Alter noch sehr rüstig und gesund war, suchte ich für einige Stunden am Tag eine Nebenbeschäftigung. Ich habe dann einige Jahre den Erst- und Zweitklässlern Religions­unterricht in Sils und Thusis erteilt. Das war eine schöne Aufgabe und ich hatte viel Freude mit den Kleinen.

Im Jahr 1981 ist dann mein lieber Mann Willi im Alter von erst 63 Jahren und nach schmerzhafter, jahrelanger Krankheit an der Folge von schwerer Poly­arthritis verstorben. Bis zum letzten Tag durfte ich ihn noch zu Hause betreuen. Sterben durfte mein Willi dann, ohne Schmerzen, im Spital Thusis.  

Von 1981 bis 1991 habe ich dann als Schwesternhilfe im Spital Thusis gearbeitet; diese zehn Jahre haben mir viel Freude bereitet, und ich glaube, dass mir die vielen Jahre zuvor im Samariterverein in Thusis über die ersten Hürden hinweg­geholfen haben. Ein herzliches Dankeschön an alle meine ehemaligen Samariterfreunde und
-freundinnen.

Gedichte schreiben war für mich immer eine gute Freizeit­beschäftigung. Ich fand immer ein geeignetes Thema, und daraus entstand dann oft mal auch ein gelungenes Gedicht oder auch mal etwas Lustiges für unser „Pöschtli“.

Am 2. Februar 1991 verstarb meine liebe Mama, 95-jährig, in meinen Armen. Das letzte, was sie noch wahrgenommen hat, war das Läuten der Kirchenglocken am Sonntagmorgen um 7.00 Uhr.

Meine Mama hat in ihrem Lebenslauf geschrieben: Immer, wenn Gott mir etwas genommen hat, hat er mir auch wieder etwas gegeben. Ich möchte an dieser Stelle fast dieselben Worte gebrauchen: Gott, du hast mir viel genommen, mich aber auch reich beschenkt: Du gabst mir eine liebe Familie, liebe Kinder, liebe Enkel, sowie viele gute Freunde.

Mit meinen beiden Enkeln, Markus und Marigna, war ich viel in der Natur, sei es im Nollagebiet, im nahen Bovel oder auf dem Crapteig. Was da alles heimge­schleppt wurde war eine wahre Freude. Ja, das war eine herrliche Zeit und für die Kinder sicher auch lehrreich, denn die Fragen blieben nicht aus. Ob ich jedoch alles richtig beantwortet habe, weiss ich nicht mehr.

Ferien am Meer oder eine Kreuzfahrt kannten wir nicht. Wir gingen in die Alpen oder in die Berge, um uns zu erholen. Auch habe ich einige Male im Behinderten­lager in Sedrun mitgeholfen. Das waren jeweils sehr schöne, aber auch anstren­gende zwei Wochen, hatten wir doch ca. 50 Kinder und Jugendliche von 7 bis 20 Jahren zu betreuen. Wir hatten geistig und körperlich Behinderte, und von den 50 Kindern waren immer 10 im Rollstuhl. Das Leiterehepaar, Herr und Frau Cadruvi aus Zizers, hat mich als Samariterin mitgenommen. Ich habe jeweils in diesen Ferien viel gelernt und auch viel Freude erlebt. Oft denke ich an die kleine, tapfere, körperlich schwerstbehinderte Astrid Sutter aus Brülisau zurück. Ich habe dieses fröhliche Mädchen während den Jahren als Betreuerin kennen und schätzen gelernt. Später kam sie dann in den Schulferien zu uns nach Übernolla. Mit ihr und Markus, meinem Enkel, habe ich eine wunderschöne Zeit erleben dürfen. Astrid, dieses kleine achtjährige Mädchen im Rollstuhl, hat mir sehr viel gegeben an Lebensmut und Bescheidenheit. Mit 25 Jahren ist Astrid gestorben. Gott gebe ihr die ewige Ruhe.

Viele Menschen haben meinen Weg gekreuzt und mich wissen lassen, dass ich auch in schweren Stunden nicht allein war. Danke.

Mein ganz spezieller Dank geht an meine Kinder und Enkel. Sie haben mir immer nur Liebe und Verständnis entgegengebracht. In der Not konnte ich auf jedes von ihnen zählen.

Ich danke auch allen, die mir im Leben liebevoll begegnet sind, und sollte ich irgend­wann einmal jemandem weh getan haben, bitte ich um Verzeihung.

Ich danke allen, die mich auf meinem letzten Gang begleitet haben und mir im Leben Liebe und Freundschaft schenkten.

Euer Annali

 

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